Der atmende Gott

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Reise zum Ursprung des modernen Yoga Ein Film von Jan Schmidt-Garre

Jan Schmidt-Garre, Regisseur des Atmenden Gotts,
im Gespräch mit Rebecca Fajnschnitt

In Ihren Filmen haben Sie sich bislang vor allem mit den Darstellenden Künsten beschäftigt - Oper, Theater, Tanz. Was interessiert Sie am Thema Yoga?

Das ist gar nicht so weit entfernt, wie es scheint. In meinen Filmen, egal ob dokumentarisch oder inszeniert, ging es mir immer um den künstlerischen Prozess. Wie ensteht Kunst, wie kann sich banales Material, also Töne oder Formen, verwandeln und geistig werden? Und darum geht’s im Yoga auch. Das Material ist der Körper, und der kann auf geheimnisvolle Weise geistig werden.

Wie im Tanz?

Das ist die äußere Seite, ja. Eine Yogasequenz kann eine tänzerische Qualität haben, wenn sie, wie ich das im Laufe der Drehzeit gelernt habe, mit dem richtigen Atem und der richtigen Konzentration gemacht wird. Dann schlägt es um, wie im Eiskunstlauf, der ja oft nur Sport ist und nichts weiter und der dann doch bei einigen Athleten zu Tanz wird. Im Sport wie im Yoga interessiert mich die B-Note!

Und was wäre die innere Seite?

Wenn ich Yoga praktiziere und richtig atme, dann kann ich eine Verschmelzung von Geist und Körper erleben, die ganz einmalig ist. Der Körper wird geistig und der Geist körperlich. Das habe ich im Yoga kennengelernt, und das unterscheidet ihn für mich von allen anderen körperlichen Betätigungen. Oder fast allen: im Sex gibt es das auch manchmal... (lacht)

Ich habe Sie im Verdacht, dass Sie den Film nur gemacht haben, um exklusive Yogastunden bei den Großmeistern zu bekommen.

Das stimmt irgendwie auch. Mir war natürlich wichtig, dass man die großen Yogalehrer in Aktion sieht und nicht nur als Interviewpartner. Deswegen musste ich einen Weg finden, sie zum Unterrichten zu bringen. Ich habe mich nicht darum gerissen, vor der Kamera zu stehen, aber ich wollte einen Schüler zeigen, der nicht erst 25 Jahre alt und sowieso extrem gelenkig ist, sondern jemanden wie mich, dem man das nicht unbedingt zutraut. Ich wollte zeigen, dass Yoga für jeden gedacht ist.

Die Indienfahrt hat Tradition unter den Forschern und Künstlern des Westens - war das bei Ihnen auch einfach mal fällig?

Ich wollte immer nach Indien - eigentlich sollte schon meine Hochzeitsreise nach Indien führen. Mit zwanzig hatte ich in New York indisches Essen entdeckt, das gab es in Deutschland noch nicht, und dann die indischen Filme, vor allem die Apu-Trilogie von Satyajit Ray. Die Faszination für Indien hat nie nachgelassen.

Was genau fasziniert Sie?

Diese Welt, die mein Film zeigt: der Orient am Anfang des 20. Jahrhunderts. Was mich dagegen nie interessiert hat, war das Indien-Bild der Sechziger und Siebziger Jahre, das Indien der Beatles; das habe ich deswegen auch nicht thematisiert im Film. Aber die frühe Indien-Begeisterung um die Jahrhundertwende, Fakire, die auf Nagelbetten sitzen: das fand ich aufregend! Und die war auf den Bildern, die ich von Krishnamarchaya gesehen hatte, zu finden. Das in Verbindung mit meinem spirituellen Erlebnis des Yoga - das war explosiv.

Ihr Film zeigt das Indien von heute und das Indien der Dreißiger Jahre. Ist Yoga nicht viel viel älter?

Doch natürlich, das ist eine uralte Praxis. Nur wissen wir wenig darüber, was im physischen Yoga vor dem 20. Jahrhundert gemacht wurde. Die philosophische Tradition ist sehr gut dokumentiert, die praktische aber fast gar nicht. Das hängt damit zusammen, dass das körperliche Yoga Ende des 19. Jahrhunderts, als der Westen erstmals auf Yoga aufmerksam wurde, einen schlechten Ruf hatte. Es galt als Akrobatik irgendwelcher Scharlatane, die mit ihren Verrenkungen um Almosen bettelten. Erst Krishnamacharya hat in den Dreißiger Jahren die körperliche Seite des Yoga rehabilitiert und in eine neue dynamische Form gebracht, die enorm erfolgreich wurde und zu dem riesenhaften Boom geführt hat, den wir heute haben. Wir haben also die Paradoxie, dass eine tausende von Jahren alte Praxis erst vor kurzem von einem einzigen Mann maßgeblich geprägt wurde!

Wie nähert man sich als westlicher Regisseur dieser fremden Kultur?

Indem man den kulturellen Abstand thematisiert. Es war mir von Anfang an klar, dass ich mich vor einem naiven Aufgehen in dieser faszinierenden Welt des Orients hüten musste und vor den verbrauchten Bildern, die man als Fremder – und als Kameramann! - erstmal sieht. Am besten kann ich’s vielleicht an der Musik erklären: Ich finde es immer anmaßend und peinlich, wenn Filme über fremde Kulturen mit der Musik dieser Kulturen arbeiten, einer Musik, die ich als Westler nur sehr oberflächlich kenne und deswegen zwangsläufig missbrauchen würde. Die Musik meiner Welt kenne ich dagegen sehr gut und setze sie auf dieser Reise quasi als meine Stimme ein. Ich verwende Klaviermusik aus den Zwanziger, Dreißiger Jahren, in der sich die Orientsehnsucht des Westens ausdrückt, die also in abendländischer Technik orientalische Motive verarbeitet. Das ist ja auch das, was ich als Regisseur tue.

Als Regisseur träumen Sie den Orient-Traum?

Ich öffne ein Fenster von meiner Kultur auf die Kultur Indiens. Das versucht natürlich jeder Regisseur, der etwas Faszinierendes gesehen hat. Er dokumentiert es, um andere an seinem Erlebnis teilhaben zu lassen. Nur denken viele Regisseure, es sei damit getan, exotische Bilder herzustellen und sie dem Zuschauer eins-zu-eins vorzusetzen. Für den Regisseur enthalten diese Bilder sein Orient-Erlebnis, aber für den Zuschauer nicht. Es fehlen die Gerüche, die Stimmung vor Ort, die Erlebnisse vor und nach der Aufnahme. Um diesen Eindruck zu übertragen und zu verallgemeinern, so dass er auch bei anderen zu dem intensiven Erlebnis des Regisseurs führt, muss er ihn erst konstruieren.

Und wie geht das?

Nur über Schnitt. Ich muss für das Bild den Kontext erzeugen, in dem es seine ursprüngliche Kraft entfaltet. Die jüngste Tochter Krishnamacharyas, Shubha, hat für uns ihre ganz private Yogapraxis vorgeführt. Das hatte eine enorme Schönheit und Intensität. In dieser einfachen Vorführung steckt für mich die Essenz des Yoga, und ich wusste beim Drehen, dass das einer der Höhepunkte des Films werden würde. Und als ich dann zuhause damit gearbeitet habe, wollte sich der Zauber partout nicht mehr einstellen. Erst ganz am Ende des Schnitts, als ich schon fürchtete, die Szene aufgeben zu müssen, habe ich schließlich die richtige Stelle dafür gefunden. Jetzt wirkt sie!

Was mir interessant erscheint am Yoga: nachdem in den Neunziger Jahren den Maschinen von Technogym und PowerPlate noch einmal ganz stark Hoffnung entgegengebracht wurde, handelt es sich hier nun plötzlich um eine Aktivität, bei der überhaupt kein Zubehör mehr benötigt wird.

Das ist wirklich faszinierend, dass Yoga ohne Aufwand möglich ist. Eine Yogamatte ist zwei Meter lang, sechzig cm breit: darauf lässt sich alles machen! Früher ging mir die Mystik der Yogamatte auf die Nerven, dieses „Ich rolle meine Matte aus, und alles wird gut“. Aber inzwischen verstehe ich das, es ist einfach wahr: Wenn man sich auf die Matte stellt, betritt man eine Welt in der Welt - wie das Kreiderechteck bei Peter Brook. Alles, was wir in meinem Film sehen, alles, was überhaupt im Yoga gemacht wird, ist auf so einer Matte möglich.